Da ist steinerner Torso auf dem Cover. Etwas an ihm wölbt sich hervor, leicht schwarz, als sei es ihm eingebrannt geworden. Oder hat es sich in Schimmelsporen lebend aus ihm erhoben? Sieht man genauer hin, erkennt man: Es ist ein Gesicht. Wie Perlmutt glänzt es aus dem Hohlraum des Torsos hervor. Es ist das Abbild von Anja Plaschgs Gesicht.
Coversongs gab es schon immer in ihrem Repertoire, einfach weil «es sich gut anfühlt, auch von mir weg zu kommen», sagt Plaschg. Sie mag Cover – ganz wörtlich als Verhüllung und Versteck. Wie sagte Dylan nochmal? «Nur hinter einer Maske lässt sich die Wahrheit sagen.» In der Berlinale-prämierten Ulrich-Seidl-Produktion Des Teufels Bad (2024)erinnerte Anja Plaschgs Darstellung der um 1750 lebenden Protagonistin Agnes manch langjährige Hörer:innen an Soap&Skins erste Alben: Das Ausbrechenwollen aus dörflicher Enge. Das Scheitern der Empfindsamen an den anderen. Das Erdige, Morbide und der Wahn.
Seit NARROW (2012) findet sich auf jedem Soap&Skin-Album ein Cover, ohne dass man es sofort als solches wahrgenommen hätte, da Plaschg jedes Material tentakulös durchwächst, bis aus einer Radiolaune wie «Voyage, Voyage» eine brunnentiefe Parabel auf das Leben geworden ist. Den Song, im Original von Desireless, nahm sie erstmals 2011 für den Soundtrack zu Sebastian Meises Stillleben auf. Seitdem gehört er zu ihrem Live-Repertoire und ist über die Jahre musikalisch mit ihr metamorphosiert.
Seit FROM GAS TO SOLID (2018) sind Furor und Agonie zarteren Arrangements gewichen. In der Neuaufnahme von «Voyage, Voyage» wird dieser Werdegang geschichtet, die Verzweiflung in der Stimme und die Heilung, die den Bläsern zu entströmen scheint, sie liegen wie Dias übereinander, werden zu einem nuancierten Bild – vom Damals und Jetzt. TORSO ist, wenn man so will, eine Werkschau hinter den vorgehaltenen Masken der anderen.
«Mystery of Love» spiegelt deren Gegenwart. Sufjan Stevens’ Song, übersetzt in Waldhorn und Posaune, lässt einen hauchzart in die Klangwelt von TORSO ein, durch die alsbald Soap&Skins Stimme mit ihrem Fanggarn bricht. «Ich höre einen Song», sagt sie, «und fühle, dass da noch etwas ist, das ich ihm gerne hinzufügen würde. Dann höre ich die Originalversion nicht mehr. Manchmal jahrelang nicht. Ich nehme die Songs aus der Erinnerung auf.»
The Doors’ «The End» hat sie seit über sieben Jahren nicht gehört. Es ist ein alter Lieblingssong, eine Zeitkapsel, die ihr heute schon fast peinlich ist, ähnlich wie Shirley Basseys «Born To Lose». Aber in ihrer Aufnahme weitet sie die Perspektive der Songs. Weg vom Ich, hin zum Wir, das born to lose ist. Sowieso.
Bekannt für ihre transformative Kraft, wird Soap&Skin immer wieder gebeten, Songs neu zu interpretieren. Als das Donau-Festival sie 2022 einlud, an einem Abend sämtliche über die Jahre entstandenen Cover-Stücke aufzuführen, kam ihr die Idee zu einer festen Sammlung.
Und so hören wir Cat Powers «Maybe Not», das Anja Plaschg im Burgtheater anlässlich einer Benefizmatinee zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aufführte. Ein Song, der auffordert, Dinge loszulassen, das Machtbestreben fallen zu lassen. Sie begleitet sich selbst auf dem Klavier. Die Gesangsspur auf TORSO entstammt der Live-Aufnahme von eben jener Matinee kurz nach Kriegsbeginn.
Mit Anna Calvi und Laeticia Sadier führte sie 2018 David Bowies BLACKSTAR in Paris, Amsterdam und Hamburg auf. «Girl Loves Me» gibt es nun als Aufnahme. Ein Stück, das mit seiner leicht jodelnd entgleitenden Stimme wie für Plaschg geschrieben wirkt.
TORSO wurde von einem Ensemble unter ihrer Leitung in Wien eingespielt. «Zum ersten Mal», sagt sie, «da es eigentlich eher meine Art ist, in einem Schutzraum, allein zu Hause, aus bereits eingespielten Samples die Musik zusammenzubauen.» Aber was in Zusammenarbeit entstand, muss vielleicht auch in Zusammenarbeit aufgenommen werden.
Den Multiinstrumentalisten und Tom-Waits-Gefährten David Coulter bat sie, seine singende Säge möglichst geradlinig durch «Johnsburg, Illinois» fliegen zu lassen. «Es ist ein so unglaubliches Liebeslied, aus so vielen Akkorden in so kurzer Zeit. Ich denke an meine Tochter, wenn ich es singe», sagt Plaschg. Sie liebt Waits’ Musik, weniger allerdings die Urmännlichkeit seiner Stimme. Durch sich kann sie sie zum Gegenpol wandeln.
Die stärkste Umwandlung aber hat der digitale Bonus-Song, Plaschgs Version von Lana Del Reys «Gods & Monsters» erfahren. Der Text dreht sich. In Plaschgs Version dreht sich der Text. Will Lana Del Rey 2012 noch «Fame» und «liquor» und das «slowly», singt Soap&Skin: «Fame» und «liquor»? «That is nothing holy.» Die einstige Begierde ist in Anja Plaschgs Version zu einem Täter geworden, dessen Hände sie nicht auf ihren Hüften will. Und aus sonniger Lethargie wurde ein Upside-down-Slow-Core-Banger auf den Beats des experimentellen Wiener Elektromusikers Asfast.
Und da hängen sie nun, all die Flechten einer Wandlung. In der Ballade «Stars», die sie durch Nina Simone entdeckte, bindet Soap&Skin sie ab. «Stars», heißt es da, kommen und gehen. «They live their lives in sad cafes and online halls/ And they always have a story.» Und Letztere bleibt. Lässt sich immer weiterspinnen als Garn, in dem die eigene Erfahrung nahbar wird.